Gestern habe ich das Buch von Tupoka Ogette „exit RACISM – rassismuskritisch denken lernen“ ausgelesen. Es hat nur 127 Seiten, lese ich an einem Tag. Nicht so dieses Buch.
Bevor ich anfing, das Buch zu lesen, hätte ich jeden Rassismus-Vorwurf oder Unterstellung empört von mir gewiesen.
Niemals hätte ich mich als Rassistin gesehen (aber das tun Rassisten ja bekanntermaßen eher nicht so häufig). Ich lerne zwar immer dazu über Redewendungen aus dem Alltag, Gedanken die mir in den Sinn kommen, wenn ich in der Werbung Texte lese, Bilder sehe, die fernab einer inklusiven Realität sind – doch mit einem Umstand habe ich mich bisher nicht befasst:
Meinen Privilegien als weiße Frau. Als ein Mensch, der es sich aussuchen kann, ob er sich mit dem Thema (Alltags-)Rassismus beschäftigt oder weiter in #happyland lebt.
Während Du das liest, kann ich mir gut vorstellen, dass Du so ähnlich. Oder den Kopf schüttelst und weiterscrollen willst, weil Dich das Thema nichts angeht, nicht berührt, nicht wichtig ist … vielleicht, weil Du weiß bist? Wenn es pieckst, solltest Du es erst recht lesen.
Wenn der Rassismus kommt, wird er nicht sagen „Hi, ich bin ein Rassist“, sondern
„Man ist doch nicht gleich ein Rassist, nur weil man … „
„Woher kommst Du wirklich, also Deine Vorfahren?“
„Ich mache da keinen Unterschied ob Menschen gelb, rot oder schwarz sind.“
„Wir brauchen noch ein paar dunkelhäutige Menschen für die Anzeige, wegen der Inklusion.“
„Ich bin kein Rassist, aber … „
Und noch etliche weitere Beispiele.
Ich bin lange um das Buch geschlichen. Wie vor einer Prüfung. Du hältst Dich für einen guten, weltoffenen Menschen ohne Vorurteile (Spoiler: Größter Irrtum der Menschheit), der auf seine Sprache achtet, niemanden verletzen möchte … und hast Angst, dass beim Test rauskommt: „Auf einer Skala von 1-10 und 10 steht für Megasuperrassist, bist Du nicht im unteren Drittel.“
Doch keine Angst. Das ist kein Test, aber es ist etwas, das Du aus der Hand legen wirst, einige Male, weshalb es sogar ein paar Tage dauern kann, um die 127 Seiten zu lesen. Denn es wird etwas in Dir bewegen. Und je mehr es bewegt, umso besser. Je mehr es Stirnrunzeln beim Reflektieren verursacht, desto besser. Es tut nicht weh, es öffnet die Augen, stellt Dich vor einen Spiegel, reicht Dir aber auch die Hand.
Meiner Ansicht nach, sollte es Pflichtlektüre sein an Schulen, es sollte Workshops geben, solche, wie Tupoka sie gibt.
Bin ich nach der Lektüre vorurteilsfrei? Ha! Ich habe gerade gelernt, dass ich mir einiger gar nicht bewusst war und es war mehr die Gedankenlosigkeit, die das Problem ist, nicht die Gedanken, die waren schon auf einem guten Weg.
Ich bin jetzt aufmerksamer, bewusster, noch etwas angespannt, weil ich vieles besser machen will, aber vor allem ANSPRECHEN will und werde und das ist sehr unbequem, vor allem unter lauter Weißen.
Ich möchte euch das Buch ans Herz legen, wenn ihr nur einen Funken „Nee, ich bin safe, alles gut“ gespürt habt und mit einem Zitat aus dem Buch schließen, das von einer der Teilnehmenden aus Tupokas Seminar stammt:
„Du gehst Dein Lebtag als weißer Mann durch die Welt und denkst, Du kennst und weißt alles. Dann beschäftigst Du Dich mit Rassismus und es ist ein bisschen wie in dem Film „Die Matrix“. Wenn Du die Pille genommen hast, beginnst Du mehr und mehr zu sehen. Und es werden Dinge sichtbar, von denen Du nie geglaubt hattest, dass sie da sind. Es ist erschreckend. Aber irgendwie auch befreiend.“