Dieser Text entstand im Jahr 2015, nach meiner ersten 10-wöchigen Reise nach Kanada. Geändert hat sich nichts, aber lest selbst <🍁
„Bist Du schon wieder angekommen?“ ist die Frage, die ich in den letzten zwei Wochen seit der Rückkehr aus Kanada am häufigsten höre. Dicht gefolgt von „Und, wann wanderst Du aus?“
Die erste Frage ist sehr leicht zu beantworten: Ja, leider. Das ging sehr schnell. Nämlich sobald ich auf deutschem Boden war, muss ich gestehen. Was mir vor Kanada nicht so klar und deutlich war, ist die schlechte Grundstimmung in Deutschland. Bevor man mir die Glorifizierung Kanadas vorwirft, sei hier anzumerken, dass ich nicht ausschliesslich aus der Sicht eines Touristen spreche, sondern eines Menschen, der unter anderem sechs Wochen lang auch einen Alltag hatte, sehr viele Menschen traf und kennenlernte, die dort leben, arbeiten und lieben.
In 10 Wochen ist mir kein einziger, unfreundlicher Mensch begegnet. Sehr schnell bestätigte sich auch der „Witz“:
„Woran erkennt man in einem dunklen Raum mit 50 Personen den einzigen Kanadier? Er ist der einzige, der sich entschuldigt, wenn man ihm auf den Fuß tritt.“
Wer schon mal in den USA war, kennt ggf. diese „How do you do?/How are you?“-Mentalität, deren Interesse und Freundlichkeit mit dem Setzen des Fragezeichens endet. Nicht so in Kanada. Ob auf der Fähre, im Bus, in der Schlange im Supermarkt, an der Kasse, auf dem Parkplatz, im Geschäft, in der Fußgängerzone, im Flugzeug, auf der Toilette, etc. pp. – selten kommt man so einfach mit Menschen ins Gespräch, die einen anlächeln. Eine Service-Kultur, die ich mir für Deutschland sehr wünschen würde. Ich gehe gerne essen und gebe für gutes Essen auch gerne (mehr) Geld aus, dafür erwarte ich einen einwandfreien Service.
Als ich mit 15 Jahren anfing zu kellnern, sagte mein damaliger Chef: „Hier geben Menschen ihr schwer verdientes Geld für ein wenig Luxus aus. Nicht für die schlechte Laune der Kellner. Wenn ihr also einen Scheiß-Tag habt, ruft lieber an und bleibt zuhause.“
In Kanada wurde ich in meiner (guten) Menü-Wahl bestätigt, man kümmerte sich sehr zuvorkommend. Ob bei Wendy’s oder in der gehobenen Gastronomie. Sicher mag es auch daran liegen, dass das Grundgehalt niedrig ist und das Haupteinkommen durch Trinkgeld verdient werden muss. Das Modell sollten sich einige Gastronomen in Deutschland zumindest mal durch den Kopf gehen lassen. Denn wäre ein Kellner z.B. am Getränke-Umsatz beteiligt, würde ich mit Sicherheit mehr konsumieren (können), statt entnervt und dann resigniert nach der Bedienung Ausschau zu halten und entschuldigend-devot um ein weiteres Getränk bitten.
Mimi nahm mich stets mit, wenn sie ihre Freunde und Bekannten besuchte, so dass ich auf diese Art und Weise sehr viele Menschen kennengelernt habe. Sehr unterschiedliche Menschen. Akademiker, die ihre Professuren der Landwirtschaft zur Liebe an den Nagel gehängt haben, emeritierte Ingenieure, First Nations-Menschen, mit tollen Geschichten, Ziegen- und Schweine-Züchter, Köche, Kindergärnterinnen. Sie alle hießen mich herzlich willkommen und beim spätestens zweiten Besuch, servierten sie mir einen Earl Grey-Tee, den sie beim ersten Mal ggf. noch nicht im Haus hatten. Das mag zwar nun ein schöner Zufall sein, aber jedes Mal, wenn wir jemanden besucht haben – und das geschah beinahe täglich – wurde gerade irgendwas gebacken oder gerade aus dem Ofen geholt 😉 Niemand von ihnen jammerte. Man echauffierte sich über die Politik des Landes oder sorgte sich über die Dürre-Periode und diskutierte über die anstehenden Veränderungen, die diese mit sich brächte, wenn sie noch länger andauernde. Man steckte jedoch viel mehr Energie in eine praktische Lösungsfindung, als in das Problem selbst. NACHBARSCHAFTSHILFE wird groß geschrieben.
Auf der Suche nach Schuhen in einer bestimmten Größe, graste ich eine Menge Geschäfte ab. In allen, die diesen Schuh nicht führten, entschuldigte man sich nicht nur dafür, sondern zählte mitunter sogar Alternativen bei der Konkurrenz vor. In Deutschland bekam ich lediglich ein „Führen wir nicht.“
Was ja schon in Ordnung ist. Aber wenn ich möchte, dass diese Person wiederkommt, schlage ich Alternativen vor.
Doch genug davon, ich möchte ja nicht jammern, sondern ich werde handeln. Zum einen werde ich es mir nicht mehr bieten lassen, sondern den Mund aufmachen. Ich möchte nicht der Mensch sein, der die Klappe hält und danach auf Bewertungsplattformen eben diese destruktiv aufreisst.
Ich möchte meinen Freunden und Menschen, die mir nahe stehen, deutlicher sagen, wenn mich etwas stört.
Konstruktiv und liebevoll, aber sehr deutlich.
Wenn ich reise, vermeide ich es Nachrichten in oder aus Deutschland zu schauen. Wisst ihr, in der Sportwelt kann man diese „Grund-Negativität“ sehr deutlich sehen. Wird bei einem großen Sportereignis ein Deutscher nicht Erster, sondern Zweiter oder 14er, ist die Euphorie verhalten. Ich wäre FROH, wenn ich bei einer Tour de France EINE Etappe schaffen würde. Die Wertschätzung für Erfolge ist schlichtweg verschroben. Gänzlich. Auch wenn mir schleierhaft ist, welche Meßlatte man an diesen Stellen zugrunde legt.
Wenn man dann ein wenig Abstand zu Twitter und Facebook, den Nachrichten-Apps, WhatsApp-Gruppen bekommt und wenn man glücklich ist oder wie ich, von Grund auf positiv, lösungsorientiert und optimistisch, fällt es zunehmend schwer, dieses Wohlstandsjammern zu ertragen.
Daraus resultierend, bin ich sehr vielen Menschen entfolgt, die ausschliesslich negative Stimmung machen und mitunter ernsthafte, seelische Probleme haben. Der einfache und durchaus egoistische Grund dafür ist: Es zieht mich runter.
Ich muss und will so leben, als hätte ich nur dieses eine Leben und in diesem steht an erster Stelle der wichtigste Mensch: ICH. Nur dann, wenn dieser Mensch frei atmen und sich entfalten kann, kann er für andere nützlich sein.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen, auch wenn er dieses nicht täglich vor einem großen Publikum ausbreitet. Doch jeder hat das Recht zu entscheiden, ob er sich noch ein weiteres auflädt und noch ein weiteres. Auch Kanadier haben ihre Päckchen, die Polen, Niederländer … es ist eine Frage der inneren Einstellung, wie man mit diesem Paket umgeht. Eine Willensentscheidung, ob und wie weit man es trägt oder sich dabei helfen lassen möchte und kann. Ich bin kein Arzt und maße mir nicht an, darüber urteilen zu können. Ich weiß jedoch aus eigener Erfahrung, dass es Selbstheilungskräfte gibt, die man aktivieren kann und das passiert nicht dadurch, dass man sich selbst jeden Tag den Dämonen hingibt.
Deutschland ist ein tolles Land, lasst euch das von jemandem sagen, der in einigen Ländern dieser Welt leben durfte oder zumindest einen guten Einblick bekommen hat. Deutschland hat viele Regeln und Gesetze – manche mögen übertrieben sein und auch unlogisch, doch im Großen und Ganzen haben wir das Privileg eines Rechtsstaates, in dem der Wille vom Volke ausgeht, wir sind größtenteils von Naturkatastrophen verschont und idealerweise hat niemand von uns, der hier seit Jahren lebt, Angst um sein Leben und seine Zukunft haben müssen. Klar, kann es dann schon mal langweilig werden, weshalb man sich dann über Straßenschilder, zu viele Kalorien in der Pizza, Schnee im Winter, Sonne im Sommer, Regen im Frühling und Laub im Herbst, zu laute Vögel, zu grüne Frösche, etc. pp. aufregt.
(Und die Kanadier lieben Deutschland und Angela Merkel.)
Oder man kann den Stock aus dem Arsch ziehen und authentisch sein, statt auf jedes Brett zu treten, das vorbeirollt.
Die zweite Frage, die mir seit meiner Rückkehr gestellt wird, ist auch einfach zu beantworten:
An dem Tag, an dem ich das ewige Jammern nicht mehr ertragen kann.